28.10.2010 in Trier
Die Bedeutung von Großprojekten in der Stadtentwicklung und  Verkehrsentwicklung 2010

Prof. Dr. Heiner Monheim
Verkehrswissenschaftler, Angewandte Geographie/ Raumentwicklung, Universität Trier

Prof. Dr. Heiner Monheim wird aus aktuellem Anlass von Stuttgart 21 über die Bedeutung von Großprojekten in der Stadt- und Verkehrsentwicklung den ersten Vortrag der Online- Ringvorlesung „Unsere Städte – gestern, heute, morgen“ halten.



Prof. Monheim vertritt in Trier an der Universität das Fachgebiet Raumentwicklung und Landesplanung seit 1995. Er hat vorher 10 Jahre im Landesministerium für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW gearbeitet und war davor 10 Jahre lang im Städtebau- und Raumordnungsministerium des Bundes bzw. dessen wissenschaftlicher Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung als Referatsleiter tätig (heißt heute BBSR, Sitz in Bonn).

Prof. Monheim hat im Jahr 2007 eine Studie über die Rolle von Großprojekten in der Verkehrspolitik veröffentlicht (in: Monheim/ Zöpel (Hg.):Raum für Zukunft. Essen). Dabei analysiert er kritisch die Transrapid- und ICE-Hochgeschwindigkeitsplanungen sowie die kommunalen U-Bahn-Projekte und die Großbahnhofsplanungen der 21er Serie). Behandelt werden die Renaissance der Bahnhöfe, das Wechselspiel von Bahn- und Stadtentwicklung, der Kontrast von behutsamer, bestandsorientierter, kleinteiliger Stadtentwicklung und Stadterneuerung und überdimensionierter, pharaonenhafter Großprojektstadtentwicklung. Am Rande wird auch auf die Partizipations- und Legitimationsfragen des konkreten Projekts S 21 eingegangen.
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Diskussionsanstöße

Entscheidung von Großprojekten durch Politik, Experten und Bürger

Wie müssen Großprojekte wie Stuttgart 21 politisch legitimiert werden? Kann ein solches Großprojekt über die repräsentative Demokratie (Landesparlament und Gemeinderäte) beschlossen werden oder bedarf es direkt demokratischer Elementen wie Volksbegehren und Volksabstimmung? Wie können die unterschiedlichen Perspektiven von Experten (Städtebauplaner, Architekten, Tiefbauingenieure, etc.), Politikern und Bürger/-innen zusammengebracht werden?

Schüler/-innen vom Scholl-Gymnasium Ulm says
November 2, 2010 at 1:22 pm

Ist Stuttgart 21 letztendlich nur das Projekt von einigen „Fürsten“ (Matthias Wissman, ehemaliger Verkehrsminister, Heinz Dürr, ehemaliger Bahnchef, Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Manfred Rommel, ehemaliger OB von Stuttgart), wie sie Prof. Monheim nennt, die sich in spätabsolutistischer Manier ein Denkmal setzen wollten und damit auch ein Symbol für das Versagen der Kontrollmechanismen einer repräsentativen Demokratie?


Holger Minx says
November 3, 2010 at 4:29 pm

Ich würde nicht soweit gehen dies zu behaupten. Es ist m.E. fast schlimmer, denn den benannten Herren fehlt augenscheinlich der erforderlich notwendige fachliche Hintergrund. Vielleicht wollten sie eine gute Entscheidung treffen; konnten die Reichweite ihres Wollens und Tuns aber mangels besseren Wissens nicht vollständig überblicken. Wenn dabei ihre Namen im Zusammenhang mit diesem Projekt immer wieder hervorgehoben werden, nehmen sie dies dankbar mit. Ich stimme zu, daß die Kontrollmechanismen einer repräsentativen DEMOKRATIE nicht greifen, weil möglicherweise die Experten kein Gehör fanden (durften).


Markus Marquard says
November 4, 2010 at 5:55 am

Stuttgart 21 ist nicht nur das Projekt von „Fürsten“, sondern worauf die Befürworter von Stuttgart 21 zu Recht verweisen, im Landesparlament und vielen Gemeinde- und Stadtparlamenten diskutiert und erhielt m.W. ausnahmslos die erforderlichen Mehrheiten. Doch in der Öffentlichkeit wird das Großprojekt mit seinen Problemen und Widerständen erst seit wenigen Monaten breit diskutiert; erst jetzt wird deutlich, dass die erforderliche Zustimmung und Anerkennung (Legitimität) in der Öffentlichkeit über die Politikprozesse in der repräsentativen Demokratie (also z.B. der Parlamente) nicht ausreichend hergestellt wurde. Nur so ist die „nachträgliche“ Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Demonstrationen und Proteste zu erklären. Ministerpräsident Mappus verweist auf die „Legalität“ (also die Rechtmäßigkeit) des Planungsprozeß, in einer moderenen Demokratie geht es aber vor allem auch um die erforderliche Zustimmung und Anerkennung (Legitimität) durch die Bürger/-innen, dass hat der bisherige politische Prozeß in den repräsentativen Strukturen nicht herstellen können. Hier sind neue Beteiligungs- und Legitimitätsverfahren in der Demokratie gefragt.


Holger Minx says
November 4, 2010 at 2:41 pm

Markus, ich stimme dieser Aussage voll zu. Du hast die Problematik sehr gut analysiert wieder gegeben.


Brigitte Nguyen-Duong says
November 4, 2010 at 2:53 pm

Bei Entscheidungen über Bürger- oder Volksabstimmungen besteht m.A. die Gefahr, dass populistische Beeinflussungen stattfinden. Auch ist es schwierig, die ganze Bürgerschaft genügend über alle Gegebenheiten über ein Großprojekt zu informieren. Es würden bei einem Volksentscheid sicherlich auch immer eigene Interessen mitwirken. Deshalb bin ich nicht dafür, alle Bürger abstimmen zu lassen. Die gewählten Repräsentanten, die Entscheidungen treffen, sollten aber ausführlich informiert sein über ein Bauprojekt und alle Vor- und Nachteile bei der Planung genau abwägen, und in der Diskussion mit den Bürgern ihres Wahlkreises alle Meinungen mit einbeziehen.


Ellen Salverius-Krökel says
November 24, 2010 at 9:20 pm

Bei der Beschäftigung mit dem neuen Thema „EXPO 2000 Hannover“ fand ich in der Literatur (Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“) folgendes:
„Im Juni 1992 kam es in Hannover auf Initiative der Grünen zu einer Bürgerbefragung. Nur ein Jahr zuvor hatte das Beispiel Österreich gezeigt, dass eine Weltausstellung tatsächlich durch die Bevölkerung verhindert werden kann. Hier war die für das Jahr 1995 in Wien geplante Weltausstellung in einer Volksbefragung gescheitert [9] .“

Schön zu wissen, zunächst einmal, dass Bürgerbefragungen möglich sind. Die Bürgerbefragung in Hannover verlief übrigens positiv für die Befürworter der EXPO, zwar knapp aber dafür. Was mag den Ausschlag gegeben haben? Verglichen mit den anderen Projekten, um die es hier auch geht, war das Ergebnis letztlich immer eher positiv: Am Ende würde es ein sehr viel besseres Nahverkehrssystem geben, mehr angelegte Grünflächen, Modernisierung der Messe, Hoffnung auf Arbeitsplätze, Weltöffentlichkeit usw. Geblieben ist ein neues Nahverkehrssystem …

Und was können die Stuttgarter erwarten? Gemessen an den zu erwartenden Kosten vielleicht zu wenig? Und nach 15 Jahren vielleicht doch eher das ungute Gefühl, dass sie hinters Licht geführt werden/wurden?

Aber es bleibt etwas anderes zurück: Das Auftreten der Politiker gibt denn doch zu denken, das hat ein „Gschmäckle“, wenn man zu seinem Glück gezwungen werden soll. Dennoch bleibt die Frage nach unseren Politikprozessen in einer repräsentativen Demokratie. was wollen wir eigentlich?

Und es bleibt die Frage nach dem Willen zur Zukunft in Deutschland. Es geht ja gar nicht nur um Stuttgart21 oder Gorleben, es geht auch um Hamburg und immer mal wieder um den neuen Flughafen für Berlin. Nun sind da die ersten Proteste gegen neue Stromnetztrassen. Wollen wir also Zukunft und wenn ja, zu welchem Preis? Oder sind die Deutschen, wie immer häufiger zu hören und zu lesen, doch eigentlich gegen alles, was sie in ihrem bequemen Leben stört? Technologiefeindlich und immer weniger der Zukunft zugewandt? Da weiß man dann, wie die Volksabstimmungen enden?


Holger Minx says
November 4, 2010 at 2:38 pm

Großprojekte durch einen Volksentscheid zu legimitieren, ist einerseits sicher sinnvoll und demokratisch – andererseits setzt dies eine umfangreiche Information und auch ein hohes persönliches Interesse über das Projekt voraus. An diesem Fakt beginnen meine Zweifel, ob dies immer möglich ist bzw. auch immer stattfindet. Ich fürchte, daß bei einem Volksentscheid durchaus eine durch Medien getriebene Meinung
sich durchsetzen kann, ohne daß die erforderlichen Fakten zur Entscheidungsfindung dem Einzelnen vorliegen. Vielleicht ist das heute praktizierte Verfahren der Entscheidung über die Parlamente und der betreffenden Gremien der richtige Weg.


Friedrich Sackmann says
Dezember 2, 2010 at 2:26 pm

Bürgerbeteiligung mit Entscheidungsbefugnis durch einen Volksentscheid ist wahrhaft demokratisch. Dennoch haben sich unsere Grundgesetzväter nicht dafür ausgesprochen, sie setzten auf die repräsentative Demokratie durch die gewählten Repräsentanten. Nun zeigt sich aber immer wieder, dass die so gefällten Entscheidungen dem Willen vieler Bürger widersprechen z.B. bei Stuttgart 21.
Viele Diskussionsbeiträge bezweifeln die Qualität einer Volksentscheidung, die Bürger wären zu wenig informiert oder könnten die Komplexität des Problems nicht durchschauen, auch bestünde die Gefahr der Manipulation der Masse durch Interessengruppen, die die Meinungsbildung durch gezielte Medienberichterstattung beeinflussen. Auch sind manche Bürger Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossen. Man kann sich das Neue ungenügend vorstellen und stimmt deswegen für das vertraute Alte. Dies sind schwergewichtige Argumente.
Dennoch bin ich für Volksentscheidungen. Hier müssen die Politiker ihre Entscheidungen vor der Öffentlichkeit begründen und sich den Fragen der Wähler stellen. Auch haben die Bürger die Möglichkeit, auf Widersprüche hinzuweisen oder Ergänzungen und neue Ideen einzubringen. Ich bezweifle auch die Informiertheit der Politiker, die in den Beiträgen unterstellt wird. Sie werden sich bei einer anstehenden Volksentscheidung sicherlich sorgfältiger vorbereiten müssen als bei einer Parlamentsentscheidung, wo sich viele nur an der Meinung ihrer Parteispitze orientieren. Auch besteht für die Politiker und nicht nur für die Bürger die Gefahr der Manipulation, die Lobbyisten der Interessengruppen sind fleißig und erfolgreich.
Also haben wir Vertrauen in den mündigen Bürger! Ich befürworte den Volksentscheid.


bischoff ursula says
November 4, 2010 at 2:40 pm

Man muss bedenken, dass wir in unserer gegenwarigen Zeit eine ganz andere Informationsflut zur Verfügung haben als z.B. noch vor 20 Jahren das denkbar war. In fast jeder Wohnung stehen inzwischen Fernseher, Radiogeräte, Telefone und Computer zur Verfügung, die ermöglichen, die Gründe, die zur Planung von Großprojekten führen, zu erfahren und teilweise auch zurückzufragen bzw. an öffentlichen Diskussionnen dazu teil zu haben. Die Auswahl dessen, was dem Publikum vorgeführt werden muss, liegt ganz bei den Verantwortlichen, die die Entscheidungen darüber auf demokratische Weise ermitteln sollten. Die Diskussionsvorschläge sollten in jedem Fall auf ihre „Machbarkeit“ geprüft und dem Volke erneut mit Begründung in „vernehmlicher“ Sprache übermittelt werden.



Pro und Contra Stuttgart 21

Ist Stuttgart 21 Ausdruck „städtebaulicher Modernität“ oder ein „Symbol für eine gescheiterte Bahnpolitik“? Ist Stuttgart 21 verkehrspolitisch und städtebaulich sinnvoll? Warum wurden in München und Frankfurt/Main vergleichbare Großprojekte nicht realisiert? Welche Pro- und Contra-Argumente stimmen? Welches Konzept (Stuttgart 21 oder Kopfbahnhof 21) ist jetzt das richtige?

Schüler/-innen vom Scholl-Gymnasium Ulm says
November 2, 2010 at 1:25 pm

Haben bei Stuttgart 21 die Stadtplaner einfach nur versagt und nicht wie in München oder in Frankfurt/Main die Reißleine gezogen, wo auch derartige Bahnhofsgroßprojekte geplant waren oder gibt es doch gute Gründe für eine verkehrspolitische und städtebauliche Sonderstellung Stuttgarts?


Friederike Jordan says
November 2, 2010 at 1:38 pm

Endlich werden die Buerger wach. Es gibt in diesem Herbst noch mehr Themen, um endlich auf die Strasse zu gehen und den Politikern in Berlin mal zu zeigen, wer eigentlich wirklich Herr im Haus ist. Ich finde es erschreckend, zu sehen, wie auch im Kleinen einfach ueber die Koepfe der Leute hinweg entschieden wird.

Stuttgart ist nur ein Beispiel von vielen, dass das Fass als erstes zum Ueberlaufen gebracht hat.

Wach werden! Ueberlegen, wie im Hintergrund gearbeitet werden kann, damit noch mehr Leute auf die Strasse gehen.

Es ist schon fast 5 nach 12. Also, fangen wir an.


Horst Westphal says
November 4, 2010 at 10:21 am

Das gesamte parlamentarische Verfahren hat stattgefunden, Gerichte haben Einwände abgelehnt. Warum also demonstrieren die Stuttgarter gegen Stuttgart 21? Die Süddeutsche Zeitung hat in einem Kommntar einen wichtigen Aspekt genannt: Das Verfahren dauerte einfach zu lange.
„Als 1994 das Projekt Stuttgart 21 öffentlich vorgestellt wurde, ging ein Teil der Demonstranten von heute gerade in die Grundschule; die Raumordnungsverfahren und Projektbeschlüsse zu Stuttgart 21 lagen nicht in ihrer Schultüte.“
Und die Senioren? Natürlich dürfen auch sie gegen ein längst beschlossenes Großprojekt demonstrieren, natürlich dürfen auf diese Weise an die Politik Gesichtspunkte herangetragen werden, die vor einem Jahrzehnt womöglich noch gar nicht bekannt waren, schreibt der Kommentator. „Es gibt die Rechtsfigur des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Wenn die Geschäftsgrundlage für einen Vertrag wegfällt, dann muss der Vertrag angepasst werden. Bei Großprojekten ist es nicht anders.“

Und die FAZ meint zu der Ablehnung einer Volksbefragung durch die Politiker: Bundeskanzlerin Merkel habee die Landtagswahl zum Gradmesser der Zustimmung oder Ablehnung des Vorhabens erhoben. „Wenn die Landtagswahl ein legitimes Forum ist, dann ist einer Volksbefragung im selben Rahmen die Legitimation nicht abzustreiten.“

Diese Kommentare aus zwei führenden Zeitungen unseres Landes sind bedenkenswert.


Frank Luwe says
November 4, 2010 at 2:37 pm

Zum Beitrag Horst Westphal:

welche Konsequenzen können wir aus den Kommentaren der beiden Zeitungen ziehen – wie geht es weiter?


Rita Daniel says
November 4, 2010 at 2:57 pm

Zum Beitrag von Friederike Jordan.
Das Projekt Stuttgart ist mir in manchen Dingen zu unübersichtlich. Ich glaube das dass von der Politik auch so gewollt ist. Endlich gehen die Leute auf die Straße.


Mario Wied says
November 6, 2010 at 12:57 pm

@Horst Westphal: Ich bin ja im Grundsatz für Volksabstimmungen. Halte diese in Deutschland allerdings nicht für zielführend. Wir werden da leider oft mit der Schweiz verglichen. Jedoch sind diese 1. viel kleiner und haben 2. eine teilweise andere Mentalität. Habe oft das Gefühl, dass gerade die Deutschen viel zu anfällig für Populismus und oft wenig sachlich sind (anders kann ich mir auch nicht erklären, dass eine Grünen Partei mit Claudia Roth und Jürgen Trittin an der Spitze, die wenig Inhalt bieten und immer nur die empörten in die Kamera spielen, so hoch ist. Da sind mehr Emotionen im Spiel als Sachlichkeit). Hierzu empfehle ich den Film „Unter Linken“ von Jan Fleischhauer. Ist wirklich toll gemacht und entlarvt hier auch den einen oder anderen Politiker. Eins steht für mich in der ganzen Frage fest: Einen Gotthardtunnel hätte es bei uns nie gegeben!


Bahnprojekt says
November 17, 2010 at 8:56 pm

Eine Volksabstimmung wäre in diese Fall schon lange nicht mehr möglich, da nicht neutral und sachlich Pro und Kontra abgewägt wird, weil die Fronten der Befürworter und Gegner bereits zu verhärtet sind. Interessant ist bei der Debatte allerdings besonders der plötzliche Höhenflug der Grünen bei der Sonntagsfrage. Diese Partei scheint in vielen Fällen „auf den Zug aufzuspringen“, indem sie die Meinung der (vermeintlich) breiten Bevölkerungsmasse aufnehmen und dann vertreten, ein richtiges Parteiprogramm ist hier nicht ersichtlich, weshalb die Grünen niemals zu einer echten Volkspartei aufsteigen werden, da sie wirklich wichtige Fragen nicht diskutieren und dazu auch keine klare Meinung haben.
Fragwürdig ist deren Verhalten insbesondere, bedenkt man, dass niemals ein Antrag zur Einstellung des Bahnprojekts während ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2005 gestellt haben; im Gegenteil: Die Grünen waren sogar an der Entscheidungsfindung pro Stuttgart 21 beteiligt. Somit ist es eigentlich auch nur peinlich, wenn auf einmal Geschichten über bedrohte Tierarten (wie z.B.: der Jutenkäfer) aufkommen, die das Großprojekt stoppen sollen. (Im Übrigen ist dies eine häufig angewandte Taktik der Grünen; so wurde auch der Bau der Autobahn von Strelasund nach Rügen um zwei Jahre verzögert aufgrund von Umweltklagen, dass durch die Spannseile der Brückenpfeiler den Vogelzug gefährden würden. Erst ein teueres Gutachten wies nach, dass diese Wahrscheinlichkeit bei 0,01 bis 0.05 Prozent lag.)
Sind die Stuttgarter also nicht einfach nur „Moderniesierungs-feindlich“? Ein unterirdischer Bahnhof sollte kein derart großes Problem bedeuten, man stelle sich schließlich allein London oder gar Paris ohne die U-Bahn vor!


R.-P. König says
November 4, 2010 at 2:42 pm

Prof. Monheim hat darauf hingewiesen, dass der Ulmer Bürgermeister Gönner ein entschiedener Befürworter von S 21 sei. Meines Wissens ist für diesen das wichtigste Argument, dass er eine Anbindung Ulms an den Stuttgarter Flughafen möchte. Darin folgen ihm auch viele Leute aus der Region. Dies ist m. E. durchaus legitim bzw. berechtigt. Allerdings rechtfertigt dieses Anliegen aus meiner Sicht noch kein Junktim zwischen der Trasse und dem Bahnhofsprojekt, wie es ja auch von Herrn Gönner postuliert wird, oder kennt jemand den Grund für diese Junktim?


Holger Minx says
November 4, 2010 at 2:59 pm

Die wenigen Beiträge zu dieser Frage zeigen deutlich, wie kontrovers und vielschichtig Stuttgart 21 diskutiert wird. Der Bogen der Argumente ist sehr weit gespannt und wie immer kann nur ein Kompromiß – für den es bislang keine Anzeichen gibt – die beiden Lager der Befürworter u. Gegner zur Annäherung und gegenseitigen Akzeptanz bringen. Dies will und muß die Schlichtung versuchen zu bewerkstelligen. Aber dies wird eine Herkulesaufgabe für alle Beteiligten werden.


bischoff ursula says
November 4, 2010 at 3:04 pm

Die Lage in Stuttgart ist nach meiner Ansicht deshalb überbordet, weil Stuttgart 21 ein geballtes Projekt ist, das aus großen und vielen kleinen Unterprojekten zusammengesetzt ist. Das ist vermutlich das Problem, dass bei den Bürgern ein Verwirrspiel angekommt.


Mario Wied says
November 6, 2010 at 12:45 pm

Ganz klar Ausdruck „städtebaulicher Modernität“. Das geradezu riesige freiwerdende Areal an Beton- und Gleisflächen bietet eine unglaubliche Chance für eine Stadt wie Stuttgart, die – bedingt durch die Kessellage – ohnehin kaum Entwicklungsmöglichkeiten „nach innen“ hat. Daher hinkt der Vergleich mit München und Frankfurt auch ein wenig. Die Kessellage birgt viele Probleme, die sich z.B. sogar in einer Stockwerksobergrenze für Gebäude (um die Luftzirkulation im Kessel zu erhalten) manifestiert. Dass hier schon im Vorfeld ein großer Teil des freiwerdenden Geländes für eine Erweiterung des Rosensteinparks reserviert wurde ist hier wirklich ein Meilenstein und Stuttgart könnte endlich mal zu einer lebenswerten Stadt werden, statt streckenweise wie eine Industriebrache zu wirken.

@R.-P. König:
Die Verknüpfung von Trasse und Bahnhof liegt darin, dass man für die Schnellbaustrecke zusätzliche Gleise (Man geht von mindestens einem Doppelstrang aus) durch die Fildern und Cannstadt legen müsste (teilweise sogar durchs Esslinger Stadtgebiet). Und die würden sich sicher freuen. Besonders, da diese teilweise noch erhöht (analog einer Hochbahn) verlegt werden müssten. Bin mir sicher die Esslinger und Anwohner in Bad Cannstatt wären über 5m hohe Lärmschutzwände vor Ihrer Haustür glücklich! Im übrigen geht auch das K21 Konzept von genau diesem Fall aus (wurde zwischenzeitlich mal weggestrichen, da es wohl bei den Leuten schlecht ankam, obwohl mans definitiv bräuchte – Wahlkampftaktik halt).
Und da die Gleise aus Richtung Mannheim ebenfalls besser herangeführt werden müssten hat man sich für die Drehung des Bahnhofs und eine Tieferlegung entschieden. Man sieht m Berliner Hbf, dass das auch durchaus sinnvoll sein kann!


Erwin Hutterer says
November 9, 2010 at 9:46 am

Wenn ich das richtig sehe, ist es genau das, was die Stuttgarter Bürger auf die Barrikaden treibt: Sie wollen die „Modernität“ nicht. Sie halten „bewahrend“ an ihrem geliebten Schloßgarten mit den uralten Bäumen und an dem Baudenkmal „Bahnof“ fest. Was Neues kann nur schlechter werden. Und ich bin ziemlich sicher, dass das vor allem ältere Bürger so sehen, die sich weniger mit der Zukunft auseinander setzen und denen es ziemlich egal ist, ob man eine halbe Stunde schneller in Ulm oder München ist (denn sie fahren eh mit dem Auto). Damit läßt sich zwar das Phänomen erklären, dass die Demonstrierenden nicht dem bisherigen Klischee von schwar gewandeten Maskierten entsprechen.
Trotzdem bleiben erhebliche Zweifel, ob die Chance für die Stadt Stuttgart auch tatsächlich für die Bevölkerung sinnvoll genutzt wird. Bei den Grundstückspreisen, die für die neu frei werdenden Flächen bezahlt werden, ist an sozialen Wohnungsbau leider nicht zu denken. Investoren werden ihre Gelder wieder haben wollen und deswegen wird es zu einer Art Luxusbebauung kommen, die hauptsächlich Bürohochhäuser ausmachen werden. Zumindest war das mal so in Entwürfen zu sehen. Hier könnte tatsächlich durch den breiten Protest und die darauf folgende Diskussion eine Korrektur von seiten der Stadtplanung erfolgen, um „Frieden herzustellen“. Wenn das auch auf Kosten der Stuttgarter Stuerzahler geht, wenn die Stadt die Grundstücke billiger hergeben muss als sie sie gekauft hat. so schadet das der relativ reichen Stadt hoffentlich nicht.
Aber dazu muss S21 erst einmal gebaut werden – und das steht mindestens bis zur Landtagswahl noch in den Sternen….

@R-P König und @Mario Wied:
Natürlich kann die Alternative zur Neubaustrecke über Wendlingen nach Ulm nur lauten: bestehende Strecke reformieren und aufrüsten. Und natürlich ist es im Prinzip sinnvoll, eine laute Bahnstrecke entlang der Autobahn verlaufen zu lassen und nicht durch dicht bewohntes Gebiet. Aber was, wenn S21 am nicht statt findenden Bahnhofsbau scheitert? Denn der neue Bahnhof und die Strecke zum Flughafen bietet für ein vielfaches der Kosten, die die eigentliche Neubaustrecke kostet, keine Kapazitätsverbesserung im Vergleich zum bisherigen Bahnhof, ist also eigentlich nicht zukunftsfähig.
Wenn es bei dem Projekt darum gehen soll, eine Verringerung der Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm (bzw. München) zu erreichen, dann läßt sich das mit Einsatz von wesentilch weniger Geld auch über die bisherige Strecke erreichen. Nicht so elegant, wie bei der Neubaustrecke, aber erheblich billiger, weil von einem großen Teil funktionierenden Istbestand ausgegangen werden kann. Und selbst wenn es das gleiche Geld kosten würde, die alte Strecke zu modernisieren, wie es die Neubaustrecke tun würde, bliebe immer noch ein Batzen von etwa 5000 Millionen Euro übrig, die nicht für den neuen Bahnhof verbuddelt würden, und mit denen man sinnvolleres anfangen könnte. Denn leider stimmt es, dass das Geld, das man hat, nur einmal ausgegeben werden kann. Und im neuen Bahnhof ist es aus Bahnsicht schlechter aufgehoben als in der Ertüchtigung des alten.
Das betrifft nicht die Stuttgarter Stadtentwicklung. Dazu habe ich ja einen eigenen Kommentrar geschrieben.

So gesehen müssen die Ulmer schon vorsichtig sein, dass sie nicht auf Gedeih und Verderb auf das Pferd S21 setzen und damit viel eher Gefahr zu laufen, „abgehängt“ zu werden, als bei K 21. Denn wenn der neue Bahnhof nicht gebaut werden sollte, gibt es keine Neubaustrecke und dann wird plötzlich alles nach K21 verlangen, um 20 Minuten schneller in der Landeshauptstadt zu sein.


McSpar says
November 10, 2010 at 6:56 pm

Entweder habe ich den Vortrag komplett falsch verstanden oder er ist einfach katastrophal schlecht.
Es fängt an mit der Verherrlichung der Bahn zu Anfang des 20. Jahunderts. Es wird von Kathedralen des Fortschritts gesprochen, von bombastischen Bahnhöfen, die aus Representationsgründen wichtig waren. Da frage ich mich, ob das damals keine Großprojekte waren, die von obenherab ohne Zustimmung des Volkes gebaut wurden um sich Denkmäler zu setzten?
Warum die Bahn damals so erfolgreich war, liegt wohl nicht daran, dass sie sich um alle Märkte gekümmert hat, sondern wohl eher daran dass es keine Konkurrenz gab. Und da liegt auch genau der Grund, warum sich das ab den 50ern verändert hat. Denn nun hat die Bahn zum ersten mal vom Käfer Konkurrenz bekommen. Nun zu behaupten es wäre grotesk, dass der Markt wächst und die Bahn schrumpft, ist wie zu behaupten es wäre grotesk, dass der Fernsehmarkt wächst, aber keiner mehr Röhrenmonitore kauft. Auf den DDR-Vergleich habe ich ja nur gewartet. Einzige Grund hierfür ist wieder keine Konkurrenz, da keine vernünftigen Autos in der DDR verfügbar waren.
Dann das Bild mit den Autos und der Spruch so sehen unsere Städte heute aus. Wollen sie uns mit einem offensichtlich uralten Bild für dumm verkaufen?
Jetzt kommt meine absolute Lieblingsstelle. Wieder ein uraltes Bild und der Vergleich mit dem Berliner Hauptbahnhof. „Nichts transparent, kein Fenster kein gar nichts“. Ich komme aus einem 3000 Seelendorf eine halbe Stunde von Stuttgart entfernt, das genau diesen transparenten Bahnhof aus Glas hat und auch sonst bin ich mit den Bahnhöfen im Großraum Stuttgart sehr zufrieden.
Mit was ich aber nicht zufrieden bin, ist, dass die Bahn keine Konkurrenz zum Auto darstellen kann, wenn es darum geht zur Messe, zum Flughafen oder in Städte zu kommen, die auf der anderen Seite von Stuttgart liegen. Es gibt fast niemand der aus meiner Gegend, der dorthin mit der Bahn fährt. Selbst Cem Özdemir fliegt vom Flughafen lieber mit dem Hubschrauber in die Innenstadt.
Nun verbleibt für mich der einzige Kritikpunkt, welchen die Kosten darstellen.
Dazu sage ich nur die Stuttgarter und wir Baden-Württemberger haben es uns einfach verdient. Wenn wir sparen wollen, sparen wir doch am Länderfinanzausgleich. Reinland-Pfalz bezieht seit Anfang an Mittel und die Bahnhöfe sind laut ihrer Aussage trotzdem eine Katastrophe, also können wir uns dieses Geld auch sparen. Mit diesem gesparten Geld könnten wir S21 auch nach ihren Kostenschätzungen locker finanzieren ;).


pandora says
November 15, 2010 at 10:31 pm

Schade, dass hier so oberflächlich diskutiert wird. So viele Klischees, so viele Boulevard-Überschriften. (Vom Sprachlichen mal ganz zu schweigen!)

Nein, man kann die Situation nicht mit den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts vergleichen. Aber dass die Bahn die Zeichen der Zeit verschlafen hat, muß man leider konstatieren. Die mit dem ICE vergleichbaren Züge in Frankreich und Japan sind ein beredtes Beispiel.

Bahnhöfe, ja richtig, sind Kathedralen des 20.Jahrhunderts, eben auch der von Berlin, und gehören im 21. darum unter die Erde – die Frage ist nur zu welchem Preis. Und der wird z.B. in Stuttgart auch durch die Geologie bestimmt. Hat jemand hiervon Ahnung und sich mal Gedanken gemacht? Der Preis ist dann vielleicht schlichtweg zu hoch und für unsere Zeiten nicht mehr angemessen. (Man könnte Stuttgart ja auch verlegen, raus aus dem Talkessel, neben Flughafen und Messe, können wir uns doch leisten.;-)) Und ist eine Viertelstunde Zeitgewinn wirklich das Maß für diese Entscheidung?

Die Neubaustrecke nach Ulm wird von Güterzügen nicht genutzt werden (nachzulesen in der Stuttgarter Zeitung). Das Frachtaufkommen auf der Rheinschiene ist weitaus größer und wichtiger, bräuchte allerdings dringend Geld, was hier bei S21 vergeudet wird. Ulm und Stuttgart werden für den Güterverkehr auch immer weniger genutzt, der Verkehr läuft über Würzburg – der Albaufstieg ist und bleibt steil, übrigens auch für die Neubaustrecke. Leider ist unsere Erde nun mal so, auch hier in Baden-Württemberg, da hilft auch kein Reichtum, zum Glück.

Übrigens ist die S-Bahn-Verbindung zum Flughafen einfacher und billiger zu haben, dafür braucht man weder den Durchgangsbahnhof, noch die Neubaustrecke. Aber unser aller Bequemlichkeit sollte man mal überdenken – ist doch so einfach vor der Abflughalle aus dem Auto zu steigen, stimmts? Trotz der „transparenten“ Dorf-Bahnhöfe rund um Stuttgart …
Das Thema Hubschrauberflug von Özdemir ist hier wohl mehr als fehl am Platz, sachlich ist das nicht, eher Boulevard-Journalismus? Oder Wahlkampf? Vielleicht mal informieren?

Es geht nicht darum sich etwas leisten zu können – schon gemerkt? Es geht um Politik, so ganz nebenbei bemerkt, und zwar schon lange, auch bei der Bahn, sprich Verkehrspolitik. Leider schon seit Jahrzehnten der Autolobby zum Opfer gefallen.


Ellen Salverius-Krökel says
Dezember 2, 2010 at 10:37 am

Nach dem Schlichterspruch
Und nun? Was ist nun das Ergebnis aus der Schlichtung? Alles wie gehabt – Stuttgart 21 wird gebaut? Zusätzliche Vorgaben kosten zwar Geld, aber letztlich wird doch alles irgendwie bezahlt werden? Oder ist das Projekt nun doch so unmöglich geworden wegen der zusätzlichen Planungen, Änderungen und Kosten, dass man dann letztlich davon abläßt?
Was halten Sie vom Schlichterspruch, was wird er uns bringen? Lernt die Politik daraus, wie sie vorgibt? Werden die Bürger nun beteiligt und wie könnte das aussehen?


Rita Daniel says
Dezember 3, 2010 at 4:05 pm

Ich hoffe das die Bürger in Zukunft bei großen Entscheidungen mitreden werden und können. Der Schlichterspruch hat nicht viel gebracht. Aber die Bürger haben doch einiges über den Bau erfahren was ihnen vorher verschwiegen wurde.
Natürlich kann der Bau nicht gestoppt werden. Das kann auch der Schiedsrichter nicht erreichen.


Horst Westphal says
Dezember 2, 2010 at 7:59 pm

Mich hat der Schlichterspruch enttäuscht. Er berücksichtigt nur den engen Stuttgarter Raum, geht jedoch nicht auf die Auswirkungen auf die gesamte Bundesrepublik ein. Alle sprechen von einer weiteren Zunahme der Warenströme. Die werden die Straßen überfordern. Besonders dann, wenn die Wirtschaft die riesigen Gigaliner einführt.Eigentlich müsste daher das Schienennetz dringend ausgebaut werden. Doch das ganze Geld soll in den Stuttgarter Tiefbahnhof und die überflüssige Hochgeschwindigkeitsstrecke fließen, die den Personenverkehr um wenige Minuten verkürzt..



Zukunftsfähige Verkehrspolitik in Deutschland und Europa

Wie muss eine zukunftsfähige Verkehrspolitik für Deutschland aussehen? Die Diskussion um Stuttgart 21 greift zu kurz. Benötigt wird eine Debatte über das Bahnsystems und die Zukunft der Bahn, über den Ausbau des Regionalverkehrs sowie die Alternativen Flugzeug und Individualverkehr (PKW, LKW). Welche Transportwege machen Deutschland und Europa zukunftsfähig?

Schüler/-innen vom Scholl-Gymnasium Ulm says
November 2, 2010 at 1:28 pm
Die Diskussion um Stuttgart 21 greift zu kurz. Sie müsste mit einer ehrlichen und in der breiten Öffentlichkeit geführten Debatte um die Konzeption des bundesdeutschen Bahnsystems verbunden werden. Kurz gefragt, welche Bahn wollen wir? Soll das Bahnsystem in der Breite möglichst viele Menschen erreichen, also der Regionalverkehr gestärkt werden oder wollen wir eine Bahn, die Großstädte, auch europaweit, mit möglichst hohen Geschwindigkeiten erreicht und somit eine Konkurrenz zum Flugzeug darstellen kann?


Holger Minx says
November 3, 2010 at 4:39 pm

Ich stimme zu, daß wir zunächst die Frage klären müssen, welche Bahn Deutschland und im Verbund die EU benötigt. Es fehlt eine Konzeption, die dies umfassend für Europa darstellt : Vergleich von Flugverbindungen mit Bahnverbindungen (zeitlich und kostenmäßig) für die großen Städte – auch im Hinblick auf die Schadstoffbilanz beider Verkehrssysteme, Break – Even – Analysen für die Auswahl beider Verkehrssysteme, Klärung des Bedarfs an Regionalverkehr etc.


Frank Luwe says
November 4, 2010 at 2:44 pm

Wichtig ist ein Zeitlimit für die Diskussion vorzugeben, um so zu konkreten Entscheidungen zu kommen.
Unbefristete Diskussionen führen ins Uferlose.


Holger Minx says
November 3, 2010 at 4:49 pm

Inwieweit wird die EU künftig bei Großprojekten gefragt werden müssen auch im Hinblick auf Entscheidungen ? Gibt es zwingend Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen (z.B. ROI) für derartige Projekte ? Mir ist klar, daß dies aufgrund der vielen Unwägbarkeiten und der Zeitschiene sehr schwierig ist – aber dies darf für fehlende Wirtschaftlichkeit keine Entschuldigung sein. Ein Wirtschaftsunternehmen wird – wenn es weiter bestehen möchte – immer auch eine „worst case“ Betrachtung anstellen und diese in die Entscheidung einfliessen lassen. Ich habe den Eindruck, dass die Politik, um ein derartiges Projekt anzustoßen und zu realisieren, nur die günstigsten Annahmen zuläßt.


bischoff ursula says
November 4, 2010 at 2:59 pm

Es leuchtet ein, dass die EU anders planen muss, als das kleine Deutschland von einst. Die Ballungsgebiete sollten in der Zukunft mit Hochgeschwindigkeitszügen und allem nötigen Zubehör verbunden werden und selbstverständlich allen Fahrgästen offen stehen. Doch für den Arbeitnehmerverkehr, der vielleicht zwischen 30 und 50 km oder weniger täglich zurücklegen muss, um zu seiner Arbeitsstätte zu kommen, müssen keine hochkarätigen Großbahnhöfe bereitstehen, es genügen „Aufenthaltsräume“ zur freien Benutzung. Dasselbe wäre auch geeignet für „Einkaufsfahrten“ und Schüler in der „dritten“ Bildungsphase. Bleibt der Güterverkehr, der sich auf die Schienen stellt, wenn das Kontingent an Beladung erreicht ist. Es wäre zu prüfen, ob das „Dreiklassensystem“ bei den Beförderungsbedingungen auf ein und demselben Schienennetz zu steuern ist. Nimmt man den „demokratischen Grundsatz“ ernst, daß jeder Bürger ein Anrecht auf einen leicht erreichbaren Zugang zum Schienenverkehr haben sollte und die Busverbindung nur die Lücken füllen soll, gäbe es in Deutschland noch etliches zu ändern. (siehe Schweiz)


Friedrich Sackmann says
November 12, 2010 at 1:34 pm

Marktwirtschaft und Deutsche Bahn

In unser marktwirtschaftliches System passt die heutige Deutsche Bahn nicht, sie ist ein Re-likt aus der Vergangenheit. De fakto ist die Bahn ein Monopolist im Schienenverkehr mit äu-ßerst negativen Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft. Ihre Leistungen sind angebotsori-entiert und berücksichtigen den Bedarf ihrer Kunden nicht.
Die Versorgung der Fläche wurde in der Vergangenheit stark eingeschränkt, viele Schienenki-lometer sind stillgelegt worden. Die (potentiellen) Nutzer müssen mit dem PKW zum oft weit entfernten Bahnhof anreisen bzw. auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, dies ist meist der Bus. Diese Möglichkeit ist in der Praxis jedoch ein schwieriges Unterfangen. Einen Kin-derwagen oder einen sperrigen Urlaubskoffer mitzunehmen ist in vielen Fällen unmöglich, da viele private Busunternehmer völlig ungeeignete Reisebusse einsetzen. Wird der Pkw benutzt, so stehen nur wenige Parkflächen an den Bahnhöfen zur Verfügung, die vorhandenen Park-plätze wie z.B. am Ulmer Hbf sind sehr eng und für Mittelklasseautos und weniger geübte Fahrer nicht benutzbar. Zudem ist die Parkraumbewirtschaftung durch das im Auftrag der DB agierende Unternehmen außerordentlich kundenfeindlich, die Parkgebühren sind hoch und schon bei minimalen Zeitüberschreitungen werden unangemessene Strafgebühren erhoben, auch wenn der Verzug durch die Bahn selbst verursacht worden ist, weil z.B. wieder ein Zug Verspätung hatte und man doch seine Gäste abholen wollte.
In vielen Bahnhöfen wurden die Schalter ganz geschlossen, in größeren wurden die Schalter-zeiten stark gekürzt. So schließen z. B. die Schalter am Ulmer Hauptbahnhof samstags bereits um 18:00 Uhr. Senioren, ausländische Touristen und Bürger, die mit den Anweisungen an den Fahrkartenautomaten nicht zurecht kommen oder eine komplizierte Verbindung buchen wol-len, stehen vor verschlossenen Türen in einem Bahnhof, der eine Region mit ca. 300.000 Bür-gern bedienen soll (Ulm und Neu-Ulm mit den zugehörigen Landkreisen).
Vergleicht man die Beförderungspreise mit den Angeboten ausländischer Bahnen, so fällt auf, dass die Deutsche Bundesbahn enorm teuer ist. So kostet eine Fahrt im ICE für zwei Personen von Ulm nach Köln in der 2. Klasse 444 € hin und zurück ohne Reservierung, die noch zu-sätzlich berechnet wird. Zum Vergleich: Eine Fahrt im TGV von Ulm nach Paris kostet inklu-sive Rückfahrt und Reservierung für zwei Personen nur 270 €, obwohl die einfache Strecke um ca. 200 km länger ist.
Die Unpünktlichkeit der Züge ist legendär. Für Reisende, die eine Umsteigeverbindung benö-tigen, wird die Fahrt zum Lotteriespiel. Die Verspätung des ersten Zuges führt häufig dazu, dass die Anschlusszüge verpasst werden. Die Reservierung wird hinfällig, dies bedeutet, dass der Reisende dann vor dem WC auf seinem Koffer sitzen muss. Welch eine Zumutung für eine Mutter mit Kind oder für Behinderte.
Weitere Kritikpunkte wären z. B. das veraltete Streckennetz und fehlende viergleisige Stre-cken, um die dringend benötigte Beförderungskapazität zu erhöhen. Der Güterverkehr schei-tert an marktgerechten Angeboten der Bahn. Das Preissystem mit den verschiedenen Klassen passt nicht, da der Bereich der 1. Klasse weitgehend leer ist, während Reisende in der 2. Klas-se oft stehen müssen.

Die Zunahme des Pkw- und des Flugverkehrs ist auch darauf zurückzuführen, dass die Leis-tungen der Bahn miserabel sind. Die staatliche Deutsche Bahn hat sich Jahrzehnte um eine Verbesserung bemüht, aber das Ergebnis ist mager. Dies zeigt, dass ein radikales Umdenken stattfinden muss. Die Deutsche Bahn braucht Konkurrenz wie dies auch sonst im marktwirt-schaftlichen System üblich ist. Monopole müssen sich nicht um ihre Kunden bemühen, aber der Wettbewerb eröffnet den Reisenden und der versendenden Wirtschaft bessere Alternati-ven. Im neuen Schienenverkehr sollte das Schienennetz weiterhin Eigentum des Bundes blei-ben und auch vom Bund betrieben werden. Die Bahnen, staatliche wie auch private, können sich für die Nutzung der Schienenwege bewerben und zahlen dafür ein Entgelt. Die Umset-zung ist sicherlich möglich, das System hat sich z. B. im Straßenverkehr gut bewährt, der Staat ist Eigentümer der Straßen, die von den Bürgern benützt werden. Die Aufgabe des Staa-tes und damit auch der Politik ist es dann, sich um ein kundengerechtes Schienennetz zu kümmern. Auch im Flugverkehr funktioniert dieses System ausgezeichnet. Für die Verbesse-rung der Bahnleistungen wird der Wettbewerb am Markt selbst sorgen.


Holger Minx says
November 18, 2010 at 3:20 pm

In Toto kann ich Herrn Sackmann zustimmen. In einem Punnkt jedoch vertrete ich eine andere Auffassung : Schienennetz und Bahn gehören in eine Hand und somit Verantworlichkeit. Viele der angesprochenen Verspätungen sind auf marode Zustände im Schienennetz zurück zu führen. Welches Interesse sollte der Bund haben, diesen Zustand zu ändern, wenn die Verspätungen der Bahn zugeordnet werden und nicht dem Bund. Welches Druckmittel hat die Bahn, den Bund dazu zu bewegen das Schienennetz zu sanieren ? Diese Situation läßt sich manchmal mit dem berühmten Vergleich von Henne und Ei vor.


Friedrich Sackmann says
November 29, 2010 at 11:35 am

Die Bundesregierung wünscht ausdrücklich den Wettbewerb auf der Schiene, wie zuletzt von Frau Merkel gefordert (Quelle: Bahnzeitschrift 11/2010, die regelmäßig in den Fernzügen der DB ausliegt). Eine der wesentlichen Voraussetzungen, einen Wettbewerb unter Bahnen zu ermöglichen, besteht darin, Schiene und Netz zu trennen, wobei das Netz beim Bund verbleiben sollte. Der Einwand von Herrn Minx wegen der dann fehlenden Fürsorge wird schon entkräftet durch den jetzigen miserablen Zustand des Schienennetzes, das sich ja in der Hand der DB befindet. Das Verharren in der jetzigen Situation hat sich als nicht hilfreich erwiesen.
Die Weiterentwicklung des Netzes unter der Zuständigkeit des Bundes obliegt dann der Politik, die die Weichen hinsichtlich zukunftsfähiger Schienenwege treffen wird. Die Interessen eines Monopolisten, der an (kurzfristiger) Gewinnmaximierung orientiert ist, stehen dann nicht mehr im Vordergrund. Der Wettbewerb unter den Bahnen, der durch die Trennung von Schiene und Betrieb möglich wird, wird auch dazu führen, dass die Schienenverkehrsunternehmen zeitgerechte Schienenwege fordern werden wie ja auch der Mieter einer Wohnung vom Eigentümer einen nutzungsgerechten Zustand fordert.
Die Segnungen des Wettbewerbs auf der Schiene werden dann den Reisenden und der verladenden Wirtschaft zugute kommen und nicht mehr nur einem Monopolbetrieb.


Friedrich Sackmann says
November 29, 2010 at 12:04 pm

Fernbusse gegen die Bahn

Ein Gesetz von 1931 verhindert den innerdeutschen Wettbewerb von Fernbussen mit der Deutschen Bundesbahn, ein klarer Verstoß gegen das marktwirtschaftliche System in der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Lippenbekundungen unser Politiker, den Wettbewerb zu fördern!

Fernbusse könnten den Fernverkehr der Bahn ergänzen. Sie könnten auch eine Alternative zum Flugzeug bieten mit seinen Umweltproblemen. Busse könnten schnelle und preiswerte Direktverbindungen zwischen Städten anbieten.

Leider ist dies seit 1931 verboten, ausgenommen sind nur Berlinverkehre und einige wenige spezielle Fälle wie z. B. Flughafenzubringerdienste. Es ist längst überfällig, dieses 80 Jahre alte Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Es stammt aus einer Zeit, in der noch ein anderes Denken vorherrschte. Der Fernverkehr sollte zum Wohle der Reisenden liberalisiert werden!

Wie die Bahn gegen mögliche Wettbewerber vorgeht, zeigt folgendes Beispiel:
David gegen Goliath: Deinbus.de wurde von der DB verklagt, seine Busverbindungen zwischen Städten wieder einzustellen. Das Web-Start-up Deinbus.de wurde von drei Studenten gegründet und arbeitet als eine Mietfahrzentrale gegen Provision. Am 19. November wurde der Fall erstmals vor Gericht verhandelt.

Eine übersichtliche Darstellung des Fernverkehrs durch Busse findet sich bei Wikipedia.